Brief an das Bundesministerium Arbeit und Soziales (BMAS) vom 15.09.2022

Nach dem Besuch beim KanzlerGESPRÄCH in Essen gab es eine weitere Kommunikation mit dem Bundesministerium Arbeit und Soziales, dem BMAS, über die Ungleichheiten bei der Unterhaltsersatzleistung Hinterbliebenenrente. Hier veröffentliche ich meinen letzten Brief an das BMAS vom 15.09.2022. Auf diesen Brief bekam ich dann leider keine Antwort mehr. Passiert ist – wie ihr wisst – auch nicht viel…

Ein offener Brief an das

Bundesministerium Arbeit und Soziales

– Arbeitsminister Hubertus Heil

KanzlerGESPRÄCH am 01.09.2022 in Essen – an das Bundesministerium Arbeit und Soziales (BMAS)
Ihr Schreiben vom 08.09.2022, AZ: IVb3-96-Krauss, Inga/88239

Sehr geehrter Herr Arbeitsminister Heil,
sehr geehrte Frau Amtsinspektorin Wirth,
sehr geehrte Frau Höber, 

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 08.09.2022 aus dem Bundesministerium Arbeit und Soziales (BMAS) und Ihre inhaltlichen Ausführungen zur Frage der Abschaffung bzw. Erhöhung der Einkommensgrenzen der HinterbliebenenRenten. Faktisch habe ich Ihre Begründungen bereits durch die Ablehnungen mehrerer Petitionen in wiederkehrenden sich ähnelnden Satzbausteinen zu lesen bekommen. Dennoch muss ich vehement widersprechen und bin der festen Überzeugung, dass Deutschland mit der geltenden Gesetzgebung einen gravierenden Fehler macht. 

Was die Rentenreformen bewirkt haben

Bei der Reform der HinterbliebenenRente im Jahr 1986 und auch im Jahr 2002 hätte die Politik einen eigenen Beitrag für HinterbliebenenRenten ähnlich der Einführung der Pflegeversicherung einführen können, wenn es eine inhaltliche Notwendigkeit oder den politischen Willen dazu gegeben hätte. Die HinterbliebenenRente wird gewährt, weil sie vor allem für die Frau aufgrund des Ehegattensplittings und der immer noch vorherrschenden traditionellen Familienaufteilung notwendig ist! Es ist nicht das Verschulden der heute Betroffenen Hinterbliebenen, dass die Politik diesen eigenen Beitrag nicht eingeführt hat, daher kann dieser Punkt von Seiten des Gesetzgebers nicht als Begründung für die Einkommensgrenzen aufgeführt werden. Die HinterbliebenenRenten sind keine Almosen, sondern sie wurden durch jahrelange kostenlose CARE-Arbeit hart verdient! 

Der Gesetzgeber beruft sich bei fast allen Begründungen darauf, dass die HR eine sogenannte Unterhaltsersatzleistung sei. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Einkommensgrenzen vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig anerkannt wurden, wobei die (geringe) Höhe der Einkommensgrenzen hier nie eine Rolle spielte. Der Gesetzgeber muss sich m. E. n. jedoch grundsätzlich entscheiden, ob die HinterbliebenenRente nun eine Unterhaltsersatzleistung ist oder eine Rente. Bei der HR wird m. E. n. immer mit zwei Maßstäben argumentiert und gerechnet – und zwar stets zu Ungunsten der Betroffenen.

Messen mit zweierlei Maßstäbe – Hier einige Beispiele: 

  • Der Selbstbehalt einer Unterhaltspflichtigen Person – der einstige Vergleichswert bei der Einführung der Einkommensgrenzen im Jahr 1986 – liegt heute im Jahr 2022 bei 1.160€. Die Einkommensgrenze der HR liegt jedoch aufgrund der nicht immer der Inflation angepassten Rentenerhöhung sowie der generellen Absenkung des Rentenniveaus nur bei 950,91€ (West) bzw. 937,73€ (Ost). Wenn die HR doch eine Unterhaltsersatzleistung ist, muss die Einkommensgrenze wieder mit dem Selbstbehalt gleichziehen, was bedeutet, dass der Faktor von 26,4 erhöht werden muss.
  • Der Kinderfreibetrag der HR mit dem 5,6-fachen des Rentenwertes deckt nicht nur in meiner Heimatstadt nicht einmal annähernd die Betreuungskosten für eine Vollzeitbetreuung ab, siehe Petition ID99844 (Anhang 1).
  • Das Unterhaltsempfangene Kind muss den Kindesunterhalt nicht versteuern, egal in welchem Alter das unterhaltsempfangende Kind ist. Das Waisenberechtigte Kind muss seine Waisenrente im Fall der Volljährigkeit bei zusätzlichem eigenem Einkommen z. B. während einer Ausbildung oder einem Dualem Studium sehr wohl versteuern.
  • Die Waisenrente wird in Höhe der tatsächlich geleisteten Beträge als Einkommen der/des Auszubildenen gewertet und ist auf den Bedarf für BAföG-anzurechnen, hierbei ausgenommen ist ein Freibetrag von 130 Euro bei Studenten an Hochschulen und Universitäten. Der „normale“ Kindesunterhalt gilt jedoch nicht als Einkommen und bleibt deswegen bei allen BAföG-Anträgen unbeachtet.
  • Der Unterhaltspflichtige (Ex-)Ehegatte kann zur Ermittlung der Höhe des Unterhalts und des Selbstbehalts eigene Kosten für Wohnen (Miete, Darlehen) sowie Kosten für Versicherungen z. B. private Rentenversicherungen mindernd geltend machen. Für die Ermittlung des fiktiven Netto-Einkommens bei der HinterbliebenenRente sind die Kosten für die allgemeine Lebensführung sowie die für private Rentenversicherungen aufzuwendenden Kosten völlig irrelevant. Siehe u.a. Petition Nr. 99566 (Anhang 2)
  • Mein eigener Ehemann hat zu Lebzeiten jeweils 450€ Kindesunterhalt an seine Kinder aus erster Ehe gezahlt, seit dem Tod bekommen alle 5 Kinder jedoch nicht einmal die Hälfte dessen (anfangs 217€). Wenn doch die HR eine Unterhaltsersatzleistung ist, fordere ich nun rückwirkend die Differenz aus der bisher gezahlten HWR und der vor dem Tod gezahlten Unterhaltshöhe inkl. Inflationsausgleich bis zum heutigen Tag sowie alle zukünftigen Monate. Ich verweise außerdem ausdrücklich auf meinen Text an Frau Bittmann vom Petitionsausschuss, Seite 2 (zu Petition Nr. 130592, Anhang 3).
  • Der Unterhaltsempfangene Ehegatte erhält den Unterhalt i.d.R. steuerfrei. Die Unterhaltsersatzleistung HR ist jedoch zu festgelegten Prozentsätzen zu versteuern (ab 2040 sogar zu 100%). Siehe auch Petition Nr. ID138747 (Anhang 4).

Frage an das Bundesministerium Arbeit und Sozales: Ist die HinterbliebenenRenten nun eine Unterhaltsersatzleistung oder eine Rente?!

Vor allem der letzte Punkt wirft Fragen auf: Ist die HR als Unterhaltsersatzleistung zu betrachten, wäre sie ja für den verbleibenden Ehegatten sowie für Waisen steuerfrei zu behandeln. Ist die HR als Rente zu betrachten, müssten folglich dieselben Begründungen zur Abschaffung der Einkommensgrenzen gelten wie für die Erwerbsminderungsrente und die Altersrente.

Mein eigenes Schicksal als Beispiel – direkt an das BMAS!

Ich möchte beispielhaft mein eigenes Schicksal beschreiben: ich bin mit 40 Jahren nach 4 Jahre langer Krebskrankheit meines Mannes Witwe geworden. Meine Söhne – unsere zwei gemeinsamen Kinder – waren damals 4 und 6 Jahre alt. Das 5 Jahre zuvor gebaute Haus konnte ich trotz der Unterhaltsersatzleistung HR nicht halten, denn diese lag damals nur bei knapp 550€ brutto (ca. 350-400€ netto!), also ein Tropfen auf einen heißen Stein bei dem Wegfall des 6-stelligen Hauptjahresgehaltes der Familie. Ich arbeite TZ als Bürokauffrau in der Metallbranche und bewege mich damit dauerhaft über der Einkommensgrenze der HR. Als Alleinerziehende ist es aufgrund er aufzuwendenden Kinderbetreuung rein zeitlich unmöglich, mehr zu arbeiten, die bei Mehr-Arbeit zu erwartenden Kürzungen der HR machen Mehr-Arbeit allerdings zusätzlich vollkommen unwirtschaftlich.

Im April 2030 wird mein jüngster Sohn 18 Jahre alt, irgendwann danach fallen die Kinderfreibeträge der HR weg. Spätestens dann wäre eine Aufstockung auf Vollzeit rein zeitlich gut machbar, allerdings würde die HR aufgrund der niedrigeren Einkommensgrenze (Wegfall 2 x Kinderfreibetrag) noch drastischer gekürzt, was Mehr-Arbeiten noch weniger wirtschaftlich macht als bisher schon. Meine Fachkraft wird schon jetzt im Betrieb in Vollzeit gebraucht und erwünscht.

Wenn ich ab Witweneintritt im Alter von 40 Jahren bis zu meinem persönlichen Renteneintrittsalter von 67 Jahren jedoch nur in Teilzeit arbeite, weil die Einkommensgrenzen der HinterbliebenenRente Mehr-Arbeit für mich nicht wirtschaftlich machen, bin ich spätestens in der Altersrente in Altersarmut – und zwar nur, weil ich das Pech hatte, meinen Ehemann so früh zu verlieren. 

Ich würde ein vom Gesetzgeber selbstgemachter Sozialfall!

Aus diesen Gründen bzw. mit dieser Perspektive habe mich zwei Jahre nach dem Tod meines Mannes für die Erziehungsrente entschieden, auch wenn ich meinem toten Mann durch das Rentensplitting 3 Rentenpunkte dafür geben musste (was er wohl damit macht?) und damit meinen eigenen Altersrentenanspruch unwiderruflich selbst um eben diese 3 Punkte verringert habe. Die Erziehungsrente ermöglicht mir jedoch jetzt ein Leben, bei dem ich auch unser Haus hätte behalten können (leider habe zu spät von dieser Möglichkeit erfahren), und bei dem ich später nicht in Altersarmut lande, weil ich spätestens ab 04/2030 wieder ohne die genannten Kürzungen Vollzeit arbeiten kann.

 Als Nächsten Punkt möchte ich Sie zitieren: „Im Ergebnis ist es also systematisch, dass eine Einkommensanrechnung auf HinterbliebenenRenten, d.h. ohne eigene Beitragsleistung, anders zu betrachten ist als eine etwaige Anrechnung auf vorgezogene Altersrenten oder Erwerbsminderungsrenten, denen eine eigene Beitragsleistung zugrunde liegt.“

Meine persönliche Unterhaltsersatzleistung ist wie oben beschrieben die Erziehungsrente. Diese wurde von mir selbst erwirtschaftet und sie stammt aus meiner eigenen Beitragsleistung. Dennoch gelten auch bei dieser HinterbliebenenRente nicht dieselben Maßstäbe wie bei der Erwerbsminderungsrente oder der vorgezogenen Altersrente, sondern sie unterliegt den Maßstäben der nicht aus eigenen Beitragsleistungen erbrachten anderen HinterbliebenenRenten. 

Das einzig systematische bzgl. der Hinterbliebenenrenten scheint die Benachteiligung von Beziehern der HinterbliebenenRenten im Vergleich zu Unterhaltsempfangenen zu sein! 

Aus einer Umfrage im Jahr 2020 in meiner Facebook Gruppe gerechte HinterbliebenenRente mit inzwischen über 1.500 Mitgliedern kam heraus, dass 44% der Betroffenen ihre Arbeitszeiten aufgrund der HinterbliebenenRente gekürzt haben:  

Stand heute, September 2022, dieselbe Umfrage, mehr Mitglieder in der Gruppe, aber exakt dasselbe Bild:

Es werden Arbeits- und Fachkräfte auf Arbeitsmarkt benötigt? Hier sehen Sie eine Lösung, wie es in Deutschland mehr Arbeits- und Fachkräfte geben könnte:

Ein eindeutiges Bild: insgesamt 85% der Betroffenen würden heute oder später mehr arbeiten, wenn die Einkommensgrenzen der HinterbliebenenRenten deutlich erhöht werden oder gar fallen! 

Sehr geehrter Herr Arbeitsminister Heil, sehr geehrte Mitarbeiter des Bundesministerium Arbeit und Soziales (BMAS), 

Nur um bei Ihren eigenen Worten zu bleiben: Sie könnten mit dem Wegfall der Einkommensgrenzen bei den HinterbliebenenRenten wertvolle Arbeits- und Fachkräfte für den Arbeitsmarkt gewinnen und gleichzeitig für die vor allem betroffenen Frauen (80% der Fälle stirbt der Mann zuerst) eine Brücke zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bilden. 

Beenden Sie den systematischen Weg in die Altersarmut für jung Verwitwete, bevor er richtig begonnen hat! 

Mit freundlichen Grüßen

Inga Krauss

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