Die Witwenrente und der Rechtsextremismus
Die AfD reichte im April 2023 einen Antrag zur Reformierung der Hinzuverdienstgrenzen bei den Hinterbliebenenrenten ein. Verbirgt sich Rechtsextremismus dahinter? Wird die Witwenrente für rechtsextreme Zwecke unter dem Vorwand des Fachkräftemangels missbraucht?
Ein offener Diskurs zu diesem Antrag, dem ich vorwegnehmen möchte, dass eine demokratiefeindliche Partei mit gesichert rechtsradikalen und ausländerfeindlichem Gedankengut sowie einem traditionellen – und damit anti-feministischem – Familienbild grundsätzlich nichts in Deutschland zu suchen hat und niemals meine Stimme bekommen wird.
Die Forderungen von betroffenen Hinterbliebenen (01/2024)
Um einordnen zu können, in welchem Zusammenhang die Forderungen der AfD stehen, ist es zunächst wichtig, sich ein Bild der Forderungen Betroffener zu machen. Diese sind hauptsächlich wie folgt:
1.) Anhebung des Freibetrags von derzeit 992,64€ im Rentenjahr 2023/24 auf mindestens den notwendigen Selbstbehalt (1.450€ im Jahr 2024).
2.) Beibehaltung der Kinderfreibeträge der HR lebenslang (wegen Karriereknick, Einbußen im Lebenserwerbseinkommen ab 40% beim ersten Kind, 54% beim zweiten Kind, 68% beim dritten Kind)
oder als Maximalforderung: Der vollständige Entfall der Einkommensanrechnung. Das käme einer Behandlung der HR als Rente gleich (statt als besteuerter Unterhaltsersatzleistung).
Die Forderungen der AfD (04/2023)
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nach § 97 SGB VI in Verbindung mit § 18a SGB IV neu regelt und dabei
1.) Erwerbseinkommen im Sinne von § 18a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV – also insbesondere Arbeitsentgelt – bei den Renten wegen Todes künftig nicht mehr berücksichtigt, so dass ein unbegrenzter Hinzuverdienst für Erwerbseinkommen möglich ist, ohne dass es zu einer Anrechnung auf die Witwenrente, Witwerrente oder Erziehungsrente kommt;
2.) die Hinzuverdienstgrenze nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Einkommen im Sinne von § 18a Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SGB IV erhöht, in dem künftig nur solches Einkommen bei den Renten wegen Todes anrechenbar ist, das monatlich das 40fache statt wie bislang das 26,4fache des aktuellen Rentenwertes West über-steigt, was einer Erhöhung des aktuellen Freibetrages von 950,93 Euro/Monat auf 1.440,80 Euro entspricht;
3.) zu den Folgen der neuen Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes eine begleitende Evaluierung und eine regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages regelt.
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Der Fachkräftemangel ist das größte Problem
„Der Fachkräftemangel ist derzeit eines der größten Probleme für die deutsche Wirtschaft. Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil fürchtet, dass der Fachkräftemangel zur größten „Wachstums- und Wohlstandsbremse“ in unserem Land werden könnte. […] Die vom Bundesarbeitsminister vorgeschlagene Lösung, wonach eine vermehrte Zuwanderung das Problem lösen soll, hat sich allerdings in der Vergangenheit als untauglich erwiesen, dem Fachkräftemangel zu begegnen. […] Richtigerweise müssen zur Behebung des Fachkräftemangels in erster Linie die Potenziale innerhalb Deutschlands gehoben werden. Dazu gehört es insbesondere auch, dass ältere Arbeitnehmer und Bezieher von Hinterbliebenen-, Erwerbsminderungs- oder vorgezogenen Altersrenten bessere Möglichkeiten erhalten im Rahmen ihrer Fähigkeiten am Arbeitsleben teilzunehmen.“
Ist dieser Antrag bereits im Bereich des Rechtsextremismus, weil er – bereits vorhandene, inländische Arbeitnehmer den – neu hinzuzuziehenden ausländischen Arbeitnehmern eine besser Chance auf Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeitskraft gibt? Ich glaube nein.
Die Einsparungen der DRV durch die Kürzungen – ist das Rechtsextremismus?
„Die durch die Rentenversicherung vorgenommenen Kürzungen der Witwen- und Witwerrenten hatten im Jahr 2021 ein Gesamtvolumen von ca. 5,4 Milliarden Euro.“
Der Freibetrag gibt nur geringen Anreiz zur eigenen Erwerbsarbeit
„Die Witwen und Witwer, die ihre Arbeitskraft auch nach dem Tod ihres Partners weiterhin einbringen und Erwerbseinkommen erzielen, sind teilweise mit hohen Rückforderungen der Rentenversicherung konfrontiert. Die Hinterbliebenen haben mit Blick auf die Anrechnung des eigenen Erwerbseinkommens oberhalb des Freibetrages nur einen geringen Anreiz zur eigenen Erwerbsarbeit, weil es dann zu einer Kürzung der Witwenrente kommen kann, ggf. eben auch auf Null Euro. […]
Für die Hinterbliebenen lohnt sich dann die Arbeit bzw. Mehrarbeit nicht. Je nach Einzelfallsituation wird durch die bisherige Anrechnungsregelung Anreiz zur Arbeitszeitreduzierung bzw. einem Verzicht auf Erwerbseinkommen gegeben. Diese negative Lenkungswirkung wurde bislang nicht hinreichend beachtet.
Durch die komplette Streichung der Einkommensanrechnung für Erwerbseinkommen wird bewusst ein starker Anreiz zum Verbleib im Berufsleben gesetzt. Damit bleiben den Unternehmen dringend benötigte Fachkräfte erhalten.“
Der Wegfall von erheblichem Verwaltungsaufwand der DRV
„Mit der Streichung der Einkommensanrechnung wird zugleich erheblicher Verwaltungsaufwand bei der Deutschen Rentenversicherung eingespart. Überdies ist mit Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer zu rechnen.“
Die Regelungen zur Einkommensanrechnung sind nicht mehr angemessen!
„Auch für Nicht-Erwerbseinkommen im Sinne von § 18a Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SGB IV – also insbesondere die eigenen Altersrenten der Hinterbliebenen – ist eine angemes-sene Neuregelung erforderlich. […] Im Jahr 1986 betrug das Rentenniveau noch 56,4 Prozent, derzeit beträgt etwa 48 Prozent.
Die bisherige Einkommensanrechnungs-Regelung erscheint in der Gesamtschau nicht mehr angemessen, weil die Unterhaltssicherungsfunktion der Hinterbliebenenrente durch oben genannte Umstände bzw. die zu strenge Einkommensanrechnung beschnitten wird.
Die mit dem Antrag geforderte Erhöhung der Grenze für eine Einkommensanrechnung folgt der bisherigen Systematik mit der Anknüpfung an den aktuellen Rentenwert. In § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist der Vervielfältigungsfaktor 26,4 gegen den neuen Faktor 40 auszutauschen. Daraus ergibt sich dann ein erhöhter Freibetrag in Höhe von 1.440,80 Euro.
In Folge der Erhöhung der Grenze für die Einkommensanrechnung ist mit Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer zu rechnen.“
Sind diese Begründungen wirklich im Bereich des Rechtsextremismus? Ich denke nein.
Keine Antwort der AfD auf mein Schreiben
Am 20.10.2023 – also einen Tag nach der Besprechung des AfD-Antrags mit der Drucksache 20/6582 – schrieb ich alle im Antrag genannten Personen per E-Mail an. Die Mail könnt ihr im Beitrag oben lesen. Keiner der Angeschriebenen hielt es für nötig zu antworten. Ich kann nicht sagen, dass das rechtsextrem ist, aber unhöflich, bürgerfern und auch arrogant finde ich das schon.
Der Landespolitiker Herr Ulrich Siegmund hat auf einen persönlichen Kontakt aus meiner Facebook-Gruppe schließlich doch noch seine Bestürzung zu dem Thema ausgedrückt und versprochen, sich hier „einzubringen“. Seit dem habe ich allerdings nichts mehr gehört.
Der AfD-Antrag stimmt inhaltlich weitgehend mit den Forderungen Betroffener überein!
Die angesprochenen Forderungen decken sich tatsächlich weitestgehend mit den Forderungen Betroffener, aber ist das dann direkt Rechtsextremismus? Kann ich nicht erkennen.
Würde der Freibetrag aus Einkommen aus Nicht-Selbständiger Arbeit komplett entfallen, wäre unsere Maximalforderung quasi schon erreicht. Rechtsextremismus? Ich denke nein.
Würde der Freibetrag für andere Einkommensarten (zusätzlich?) auf das 40-fache des Rentenwertes angehoben, entspräche das derzeit bei einem Rentenwert von 37,60€ im Rentenjahr 2023/24 einem Freibetrag von 1.504€ – und damit sogar etwas höher als der seit 01.01.2024 festgelegte Selbstbehalt einer unterhaltspflichtigen Person (1.450€). Damit wäre auch diese Forderung (zusätzlich?) erreicht. Rechtsextremismus? Sehe ich auch hier nicht.
Beiden Punkten stimme ich zu 100% zu. Auch die Begründungen kann ich gut nachvollziehen und stimmen ihnen zu. Ich kann nicht sagen, dass eine stärkere Beachtung von vorhandenen inländischen Arbeitskräften gegenüber den hohen Aufwänden für neu einzubürgernden ausländischen Arbeitskräften direkt ausländerfeindlich oder gar rechtsextrem ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist in der vorliegende Antrag in meinem Augen nicht rechtsextrem. Und dennoch – nur zur Klarstellung – würde ich eine gesichert rechtsextreme und unter dem Verfassungsschutz zur Beobachtung stehende Partei wie die AfD niemals wählen. Ich freue mich aber sehr, dass der Antrag eine inhaltliche Debatte zur Hinzuverdienstgrenze angeregt hat.
Viel Unterstützung auch für die Argumentation
Auch Punkt 3 – aus dem Antrag der AfD „eine regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages“ einzuführen, unterstütze ich zu 100%. Schon lange sage ich pauschal, dass in jeder Firma das Controlling bei solchen Regeln Alarm schlagen würde, aber die Bundesregierung macht (trotz meiner vielen Hinweise) die Augen zu und weigert sich, das schwere Thema Rente in Angriff zu nehmen.
Saskia Esken hat festgestellt, dass wenn alle der 2,5 Mio. teilzeitarbeitenden Mütter eine Stunde in der Woche mehr arbeiten würden, wären prompt 70.000 Vollzeitstellen besetzt. Jetzt stelle man sich das mal mit den 1,2 Mio. im erwerbsfähigen Alter befindlichen Empfängern von Hinterbliebenenrenten vor, die nicht nur eine Stunde, sondern gleich 10, 15 oder 20 Stunden mehr arbeiten würden, weil Mehr-Arbeit für sie mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenze wieder wirtschaftlich würde! Wie viele Vollzeitstellen wären damit durch bereits vorhandene Fachkräfte sofort besetzt?
Wie viel mehr an Steuereinnahmen – und an Einnahmen für die Rentenkasse würden da sprudeln?
Gut 87% der Betroffenen sind weiblich. Frauen arbeiten tendenziell eher im pflegenden Bereich. Wie viele Pflegestellen, KiTa-Erzieherinnen und andere pflegeberufe wären dann bis zu Vollzeit besetzt? Das ist Wahnsinn.
Aber auch grobe inhaltliche Lücken im AfD-Antrag
Gänzlich vergessen wurde im AfD-Antrag die nachgelagerte Besteuerung aller Renten. Auch die Hinterbliebenenrenten werden zunehmend besteuert – ab dem Jahr 2040 zu 100%. Das mindert damit neben dem erwähnten gesunkenen Rentennievau deutlich das einer Witwe/einem Witwer zur Verfügung stehende Nettoeinkommen, um den „erreichten Lebensstandard“ zu halten.
Ebenfalls fehlt im Antrag eine Differenzierung zwischen Altem Recht (ca. 4,9 Mio. Betroffene, Stand 31.12.2022, Tendenz fallend) und Neuem Recht (ca. 313.000 Betroffene, Stand 31.12.2022, Tendenz steigend). Durch die stark ausgeweitete Einkommensanrechnung im Neuen Recht wird der Verwaltungsaufwand der DRV erheblich erhöht.
Zahlen zum Verwaltungsaufwand der jährlichen Einkommensüberprüfungen von 5,2 Mio. Empfängern von Hinterbliebenenrenten durch die DRV gibt es übrigens laut DRV nicht.
Auch aus der Sicht der AfD gibt es wie im Antrag erwähnt, nur die „älteren Arbeitnehmer“, die durch die Neuregelungen „ihren Lebensstandard“ zu halten vermögen. Die geringer Hinterbliebenenrente durch geringe Einzahlungszeiten bei jungen Hinterbliebenen und alleinerziehende Witwen/alleinerziehenden Witwern und der durch die derzeitigen Regelungen geschaffene systematische Weg in die Altersarmut wird im Antrag ebenso wenig beleuchtet, wie der geltende Abschlag von 10,8% Abschlag für Verstorbene vor dem 62. Lebensjahr.
Die „Rentenfalle“ für junge Hinterbliebene mit Kindern, die – sobald die Kinder aus dem Haus sind – weniger statt mehr arbeiten werden ebenfalls nicht erwähnt.
Hier scheint die AfD noch Schulungsbedarf zu haben – rechtsextrem ist das jedoch nicht.
Dennoch: KLARE (!!) Distanz zur AfD und zum Rechtsextremismus
In diesem Antrag kann ich nichts ausländerfeindliches oder gar rechtsextremistisches Gedankengut finden. Da etwa 87% der Betroffenen Frauen sind und Frauen aufgrund der geschlechterspezifischen Erwerbsbiographien und der weiterhin kostenlosen Care-Arbeit in diesen weiblichen Erwerbsbiographien in der Regel eine weit höhere Hinterbliebenenrente bekommen als Männer, käme die Durchsetzung dieses Antrags sogar hauptsächlich Frauen zugute.
Und dennoch ist die AfD eine zumindest teilweise gesichert rechtsextreme Partei. Und dennoch propagiert diese Partei die traditionelle Aufgabenteilung in einer (heterosexuellen, weißen) Ehe, was keine Feministin gut heißen kann, da ich mehr bin als Hausfrau und Mutter. Obwohl diese Rollenbilder leider noch immer weit verbreitet sind, wäre eine Machtübernahme dieser Partei ein Rückschritt im Sinne von Gleichberechtigung, Feminismus und Gleichstellung. Ich persönlich distanziere mich hiermit öffentlich – und vehement – von einem solchen Gedankengut.
Fazit
Egal welche Begründung angeführt werden – Fachkräftemangel oder Vergleich mit dem Unterhaltsrecht – unsere Forderungen decken sich erstaunlich stark und weitreichend mit denen der AfD. Es wäre ein Segen, wenn die anderen Parteien entweder diesen Antrag inhaltlich diskutieren würden oder besser noch: selbst einen solchen Antrag stellen würden!
Ist das der Anfang einer echten politischen Diskussion?
Da der Antrag genau von dieser teilweise gesichert rechtsextremen Partei eingegangen ist, habe ich keine Hoffnungen, dass dem Antrag auf nur im Geringsten stattgegeben wird. Es sei denn, die AfD schafft eine Mehrheit im Bund – doch dann haben wir ganz andere Probleme als die Witwenrente in Deutschland. 🙁
Dennoch bin ich gespannt, ob aufgrund dieses Antrags im politischen Deutschland endlich einmal über unser Thema diskutiert wird.
In der Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente findest Du Hilfe und Gleichgesinnte:
Weiterführende Links
Du möchtest endlich wissen, was das Ehegattensplitting ist?
Mehr über die Rentenarten gibt es hier.
Infos über die Einkommensanrechnung gibt es hier
Wusstest Du, dass auch die HinterbliebenenRenten steuerpflichtig sind?
Unter dem Menüpunkt Download findest Du eine Excel-Tabelle, mit der Du ganz leicht selbst ausrechnen kannst, ob oder in welcher Höhe die Kürzungen der Witwenrente für Dich ausfallen.