Der Tod im Nacken – Ein Erfahrungsbericht

Über das Leben mit einer todbringende Diagnose des Vaters der 3 gemeinsamen Kinder, die Existenzangst vor und nach dem Tod und die zukünftige Altersrente berichtet Birgit Reimann in unserem Gastbeitrag

Gastbeitrag von Birgit Reimann

23. Mai 2023

Leben als Witwe mit Kindern

Ein auf ca. 900 bis 1200 Wörtern limitierter Beitrag zu einem Podcast, der sich damit beschäftigt, wie sich das Leben als Witwe mit drei Kindern anfüllt – geht das? Nein, es geht eigentlich nicht, denn es ist zu vielfältig, zu sehr auch von vor dem Tod des Partners stattgefundenen Ereignissen beeinflusst.

Das Wissen um den nahen Tod

Ich wusste, dass mein Ehemann sterben wird. Die Nachricht kam abends Mitte April 2007, ca. 21.00 h telefonisch. Die maximale Lebenserwartung würde 3 bis 12 Monate betragen. Unsere Kinder waren 5, 11 und 13 Jahre alt. Eine Gefühlsregung war Existenzangst; das Wissen, dass man quasi über Nacht vom gut situierten Mittelstand ins soziale Aus befördert werden kann. Mit der Mitteilung, dass der Hauptverdiener versterben wird, wurde auch der ärztliche Rat gegeben, dass man wieder ins Berufsleben zurückkehren sollte. Prima Aussichten: 3 Kinder, einen pflegebedürftigen Ehemann und Rückkehr ins Berufsleben – ohne ausreichende und qualifizierte Betreuungsinfrastruktur für die Kinder. Nach rund 7 Jahren, ca. 15 kg weniger Körpergewicht, also fast schon Untergewicht, und mittlerweile chronische Rückenschmerzen verstarb mein Ehemann. Zeit, um voneinander Abschied zu nehmen, hatten wir nicht. Auch Zeit für Erholung hatten wir nicht. Versuchen Sie mal, Urlaub mit Kindern in der Ferienzeit mit der nicht lang oder mittelfristig im Voraus zu „buchenden“ Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim zu vereinbaren. Die für mein Alter und/oder für das Studium der Kinder gebildeten Reserven waren so gut wie aufgebraucht – Pflege kostet. Aber ich hatte Glück, denn seit Januar 2009 war ich wieder berufstätig, unbefristet, Teilzeit. Und eine Schwester und einen Schwager, die neben der Pflege unserer Mutter auch mir hin und wieder Luft zum Atmen verschafften. Die Rentenanträge habe ich alle selbst ausgefüllt, der Knappschaftsälteste war mit der Situation sichtlich überfordert. Eine Beratung oder eine Adresse, an die man sich bei Bedarf wenden kann, gab es nicht. Habe ich auch nicht gefragt, weil ich auch überfordert war und auch verlernt hatte, nach Hilfe zu fragen – aber das ist eine völlig andere Geschichte. Ich war der Ansicht, dass ich gut funktionierte. Habe brav die Beerdigung organisiert, insgesamt 12 Anträge für die unterschiedlichen Rentenversicherungsträger ausgefüllt und wartete auf das was da kommen würde. Unterhaltsvorschuss für die Kinder gab es damals nicht, weil der gesetzliche Anspruch für Kinder ab 12 Jahren noch nicht bestand – aber es hätte vermutlich auch keinen Unterschied gemacht – weil es ja keine Beratung gab; ich nur mit dem „arbeiten“ konnte, was ich auch kannte: Witwenrente und Waisenrente beantragen, die Sterbeurkunde bei der Lebensversicherung einreichen, den Notar verständigen. Von einem anderen jungen Witwer wusste ich, dass auf die Witwenrente Steuer gezahlt werden muss.

Der Rentenbescheid und die Angst

Der Rentenbescheid der Knappschaft-Bahn-See kam relativ schnell. Da mein verstorbener Ehemann bereits EU-Rente bezog, war die Berechnung relativ einfach. Aus der doch recht guten Rente meines Ehemannes wurde eine Witwenrente, die mich wiederum in die nächste Welle der Existenzangst schob. Wie finanziere ich die Ausbildung unserer Kinder? Wie bezahle ich alles??? Du hast ja noch Anspruch auf die Zusatzrenten und ein eigenes Einkommen! Aber leider hatte ich hier die Rechnung ohne ausreichendes (Fach-)Wissen gemacht! Die Hinzuverdienstgrenze ist so niedrig, dass die Witwenrente, die eine Unterhaltsersatzleistung ist, eigentlich nur eine Fürsorgeleistung ist. „Dir geht’s doch gut, du bekommst doch Witwenrente“ – eine gängige Ansicht und Aussage, die auf jung Verwitwete mit Kindern nicht zutrifft. Und dieses Vorurteil hält sich. Von Armut bedroht sind ja nur geschiedene Frauen…. Nie vorher wurde mir die Abhängigkeit von dem Einkommen meines Partners so deutlich, wie nach seinem Tod. Zeit für Trauer: NULL – die Angst, dass eine nochmalige Abschmelzung des Einkommens nicht mehr kompensiert werden kann, wird immer größer.

Hilfe und Gleichgesinnte im Internet

Über Facebook bin ich auf die Gruppe „GerechteHinterbliebenenRente“ gestoßen. Endlich auch Betroffene, die das System der Limitierung auf niedrigstem Niveau kritisieren, darüber reden! Und vor allem gibt es hier noch was: Informationen! Informationen über die Erziehungsrente, Informationen über Unterhaltsvorschuss, Informationen über die Bedingungen der Weiterzahlung der Waisenrente nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, über die unterschiedlichen Einkommensarten… 

Die viel zu niedrige Hinzuverdienstgrenzt bremst, sie lässt keinerlei Spielraum zu. Das Mehr an Vorsorge führt zu einem Weniger an Anerkennung.  

Seit Einführung der Hinzuverdienstgrenze ist die Pflegeversicherung eingeführt worden, die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sind kontinuierlich erhöht worden. Dies und noch einiges mehr wird nicht berücksichtigt. Hinweise, Beschwerden, Klagen über dieses schleichende, stille und vor allem nicht kommunizierte Auslaufen der Hinterbliebenenrente verlaufen im Sand. Es wird darauf verwiesen, dass Frauen heutzutage in der Lage sind, ausreichend für ein eigenständiges Einkommen Sorge zu tragen. Hä?? Wer kümmert sich um die Kinder??? Das Fachpersonal, das schon 2009 nicht vorhanden war??? Oder später die Polizei und Sozialarbeiter*innen, weil man Kinder unmöglich ständig sich selbst überlassen kann??? Im realen Leben ist es immer noch so, dass mindestens eines der Elternteile beruflich kürzertreten muss, um eine adäquate Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Fällt ein Elternteil unwiederbringlich weg, ist nicht nur die Steuerlast weitaus höher, sondern auch alles andere. Was mir früher das Leben als Nur-Hausfrau versüßt hat (Ehegattensplitting und beitragsfreie Familienversicherung in der Krankenversicherung) fällt mir jetzt auf die Füsse: Um eine Steuerrückzahlung zu vermeiden, bleibe ich (1 Kind in der Ausbildung) in der Steuerklasse I, ohne Freibetrag fürs Kind. Sicher ist sicher. Wobei wir dann wieder bei der tagtäglichen Existenzsicherung wären. Ja, es dreht sich nach über 9 Jahren immer noch ums Geld! Mittlerweile hat sich meine Position etwas geändert. In 3 Jahren und 8 Monaten kann ich auf 45 Jahre Erwerbstätigkeit zurückblicken und werde in rd. 7 Jahren eine Rente erhalten, die nicht die Höhe der EU-Rente meines Ehemannes nach 25 Jahren Berufstätigkeit erreichen wird – und ich kann versichern, dass es nicht an meinem Einkommen vor der Geburt des ersten Kindes lag! Aber das ist auch eine andere Geschichte… 

Wie sieht die Zukunft aus

Wenn es planmäßig läuft, werde ich in 7 Jahren eine Witwe sein, die eigene Altersrente bezieht, die – natürlich – auch wieder mit der Witwenrente verrechnet wird. Manchmal frage ich wirklich, warum ich jeden Morgen aufstehe, den spürbaren monetären Vorteil meiner Berufstätigkeit erfahre ich nicht. Die Verrechnung eigenen Einkommens mit der Witwenrente wird u. a. auch damit begründet, dass ich (als Hinterbliebene) keine Beiträge zu den erworbenen Anwartschaften des Verstorbenen erbracht hätte, keine Zusatzbeiträge geleistet habe, um einen Anspruch auf Witwenrente zu erwerben, und es den ledigen Beitragszahlern aus Gründen der Gerechtigkeit nicht zuzumuten ist, für die Hinterbliebenen zu sorgen. Aha! Ich bin ledig, zahle Beiträge und mir ist es nicht zuzumuten, dass ich mir Ansprüche aus der Rente meines verstorbenen Mannes zubillige, für deren Erwirtschaftung ich nicht unmaßgeblich verantwortlich bin: Ich habe durch meine Nicht-Berufstätigkeit und Übernahme der Care-Arbeit es überhaupt erst ermöglicht, dass mein verstorbener Mann so hohe Beiträge in die Rentenversicherung zahlen konnte. Man merkt, ich fühle mich streckenweise verarscht…. 

Die Anzahl der zugebilligten Wörter ist begrenzt, daher mein Fazit: Ehemann seit Januar 2014 verstorben, zwei Kindern das Studium finanziert, das dritte ist jetzt im Master… Zeit zum Trauern: Kaum vorhanden, hin- und wieder poppt was auf, aber die Alltagssorgen lassen nicht wirklich Raum. Was mir da noch gerade einfällt: Niemand, aber auch wirklich niemand hat mir nach diesen sehr anstrengenden Jahren der Pflege meines Mannes gesagt, dass es auch Trauerkuren für Junge Verwitwete mit Kindern gibt….

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Gefördert durch die Stiftung Alltagsheld:innen – Gemeinnützige Stiftung für die Rechte von Alleinerziehenden.

Weiterführende Links

Du weißt nicht, wohin mit dem Ehering? 

Mehr über die Rentenarten gibt es hier.

Mehr über die Einkommensanrechnung gibt es hier

Wusstest Du, dass auch die HinterbliebenenRenten steuerpflichtig sind?

Wie ist Dein Hinzuverdienst Witwenrente 2023? Unter dem Menüpunkt Download findest Du eine Excel-Tabelle, mit der Du ganz leicht selbst ausrechnen kannst, ob oder in welcher Höhe die Kürzungen der Witwenrente für Dich ausfallen. 

 

In der Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente findest Du Hilfe und Gleichgesinnte:

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