Trauer ohne Tod – ist das möglich?
Als mein Mann im Jahr 2012 die Diagnose Krebs bekam, fing ich an, zu trauern obwohl er ja noch lebte. War das berechtigt? Kann man Trauer empfinden ohne, dass jemand gestorben ist? Wie ich das empfunden habe, worum ich getrauert habe und wie sich die Trauer verändert hat, erzähle ich Dir hier.

Die Trauer kam mit der Diagnose
Bäm. Da waren sie da, die Worte vom Arzt. Sie haben Krebs. Unheilbar. Bösartig. Mit Metastasen. Mein Mann hatte einen Tumor im Dickdarm und 25-30 ostereiergroße Metastasen in der Leber. „Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen!“ Fast begeistert von diesem Fund in der Leber winkte uns der Onkologe zu sich ins Ultraschallzimmer. Was danach geschah, war wie ein schlechter Traum.
Die Diagnose zerstörte unser Leben. Sie zerstörte unsere Ehe. Sie nahm unseren kleinen Kindern ihren Vater. Und sie gab uns die Trauer.
Trauer um unsere Ehe
Unsere Ehe war von Anfang an ohne die Leichtigkeit, die Liebende sonst um schwelgt. Die Scheidung der ersten Ehe hing wie ein Schatten über unserer Liebe und sollte uns von Anfang an kaum leichte Momente gemeinsam erleben lassen. Dennoch entschieden wir uns füreinander – und sahen eine rosige Zukunft für uns. Die Umstände blendeten wir aus. Wir wollten es schaffen, wir hatten noch so viel vor. Auch beruflich sollte es mit dem Einstieg in die Firma meines Schwiegervaters für uns eine mächtige und großartige Veränderung geben. Wir beide sahen eine tolle Zukunft vor uns, in der wir uns liebten, die Kinder gemeinsam großziehen würden und die Firma gemeinsam voranbringen würden.
Die Diagnose allerdings kam im denkbar schlechtesten Augenblick der Familienplanung: Wir hatten gerade ein großes Haus gebaut und unsere gemeinsamen Kinder waren erst knapp ein halbes Jahr alt und gerade zwei Jahre geworden. Mit der Firma ging es mal bergauf, aber auch wieder bergab, aber von einer Konstanten oder einer gewissen finanziellen Sicherheit waren wir noch weit entfernt.
Und die Worte des Onkologen waren klar: mein Mann wird an der Krankheit sterben. Daran gab es keinen Zweifel.
Trauer um unsere Zukunft
In diesem Moment gibt es keine Zukunft mehr. Das Kartenhaus bricht zusammen. Alles verschwimmt.
Es braucht Tage, Wochen, Momente und viel Liebe, um wieder – zumindest zeitweise – an Zukunft glauben zu können. Die Trauer erhält Einzug in das Leben. „Wie soll das nur alles ohne Dich gehen?“ fragte ich mich andauernd. Sprechen konnten wir darüber nicht, denn mein Mann wollte leben. Er wollte nicht sterben – und auch nicht darüber reden. Er wollte nicht krank sein – und auch nicht als Kranker behandelt werden. Er wollte das alles nicht. Er wollte bleiben und strudelte in all unseren Problemen hilflos umher.
Zurück lies er mich. Allein. Ohne vertrauten Ehepartner, mit dem ich meine Sorgen hätte teilen können. Und zwar schon während unserer Ehezeit.
Die Trauer nach dem Tod
Vier Jahre und drei Monate vergingen von der Diagnose bis zum Tod. Das ist eine sehr lange Zeit zum trauern. Das ist eine sehr lange Zeit, um sich von den Träumen unserer Ehe zu verabschieden. Das ist eine lange Zeit, um sich emotional von meinem Mann als Partner, als Ehemann, als Vater, als Vertrauter, … zu verabschieden, denn leider war das so. Unsere Ehe war nicht zuletzt wegen der Patchwork-Situation unglücklich. Es gab immer nur die Firma, die großen Kinder aus erster Ehe und dann lange nichts…
Unsere Familie, unsere gemeinsamen Kinder, ich als Frau, ich als Partnerin oder ich als Mensch hatten in unserem gemeinsamen Leben nur noch wenig Raum – denn die Firma, die großen Kinder und nicht zuletzt die Krankheit füllten den Platz für Sorgen und Nöte bei meinem Mannes vollständig aus.
Ob ich meinen Mann vermisse? Ja, jeden Tag. Aber ich vermisse nicht den Mann, mit dem ich zusammengelebt habe und ich vermisse nicht die Ehe, die wir geführt haben, sondern ich vermisse die Ehe, die wir hätten führen sollen und ich vermisse den Mann, der er mir versprochen hat zu sein. Ich trauere um den Mann, den ich geheiratet habe, ich trauere um die Ehe, die wir hätten führen sollen. Ich trauere um den Vertrauten, meinen Seelenverwandten, den ich nie hatte – und zwar schon lange vor dem Tod meines Mannes und auch lange vor seiner Diagnose.
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