Wie man Halbwaisen systematisch vom Unterhaltsvorschuss fernhält

Es ist ein Skandal in Deutschland: viele alleinerziehende Eltern von Halbwaisen wissen nichts von der Möglichkeit, Unterhaltsvorschuss (UVS) zu beantragen. Neben der Trauer um den eigenen Partner reihen sich oft Existenzängste, aber eine Beratungsstelle für (junge) Verwitwete gibt es nicht. Mit welchen Mechanismen Eltern von Halbwaisen bewusst von der Beantragung des Unterhaltsvorschusses ferngehalten werden und wie bitter das für das Leben der verbleibenden Familie ist, zeigt unser Beispielfall von Doris Kaiser (Namen geändert), die ihren Ex-Mann im Jahr 2017 verlor, aber erst sechs Jahre später vom Unterhaltsvorschuss erfuhr – zu spät für ihre inzwischen volljährigen Kinder! 

Die Höhe der Halbwaisenrenten (HWR) ist ausschlaggebend

Die durchschnittliche Halbwaisenrente liegt in Westdeutschland bei 220 € und in Ostdeutschland bei 225 € und ist damit in jeder Altersstufe für Unterhaltsvorschuss (UVS) berechtigt (Zahlen DRV, Stand 31.12.2022, aktuelle Zahlen werden zum 01.07. des Folgejahres veröffentlicht).

Warum liegt die Halbwaisenrente grundsätzlich so niedrig? Die Halbwaisenrenten werden nicht wie Kindesunterhalt vom letzten Einkommen des Unterhaltspflichtigen berechnet, sondern sie werden im Sinne einer Unterhaltsersatzleistung nach den bisher eingezahlten Rentenpunkten des Verstorbenen berechnet. Und da jung verstorbene Eltern in der Regel noch nicht über viele Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, liegen die Halbwaisenrenten oft verhältnismäßig tief, auch wenn das Einkommen des Verstorbenen zum Todeszeitpunkt in der Erwerbseinkommensmitte mitunter hoch war.

Wie berechnet sich Unterhaltsvorschuss (UVS) für Halbwaisen?

Liegt zwischen der Summe von Halbwaisenrente und vollem Kindergeld eine Lücke zum Mindestunterhalt der jeweiligen Altersstufe, hat das Kind Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.

Eine 13-jährige Halbwaise mit durchschnittlicher Halbwaisenrente gilt seit dem 01.01.2024 ein Mindestunterhalt von 645 € pro Monat. Werden das volle Kindergeld von derzeit 250 € pro Kind und die durchschnittliche HWR von 220 € abgezogen, bleibt eine „Lücke“ von 175 €. Diese Lücke wird dann (nach Antrag!) vom Jugendamt aufgefüllt.

Das Problem

Unterhaltsvorschuss gibt es nicht rückwirkend. Der Monat des Antrags ist ausschlaggebend.

Erfahren Betroffene nichts von der Möglichkeit des Unterhaltsvorschusses, ist dieser vergolten. UVS muss beim Jugendamt beantragt werden, das ist aber keine übliche Anlaufstelle für Verwitwete, denn die Hinterbliebenenrenten werden bei der Deutsche Rentenversicherung (DRV) beantragt. Die DRV weist Betroffene  jedoch nicht (oder nur selten) darauf hin, sich beim Jugendamt zu melden, da dies nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehört.

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Die Webseite des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) schließt Halbwaisen bewusst aus!

Auf der aktuellen Webseite des BMFSFJ findet man keine Wörter wie  „Halbwaisen“, „wenn die Halbwaisenrente zu niedrig ausfällt“ ist oder „dem verstorbenen Elternteil“. Seht selbst:

Skandal in Deutschland: Wie man Halbwaisen systematisch vom Unterhaltsvorschuss fernhält

Ich persönlich habe schon vor Jahren Familienministerin Franziska Giffey auf diesen Missstand aufmerksam gemacht, sie gelobte Besserung, aber nichts geschah. Ich habe auch schon Familienministerin Lisa Paus dahingehend angesprochen, aber keiner Reaktion. Als letztes Mittel habe ich den Betreiber der Webseite auf diese Fehler angeschrieben, aber ebenfalls keine Reaktion.

Wie kann das sein? Will man nicht, dass Halbwaisen ihre Rechte einfordern?

Tragisches Beispiel – aber kein Einzelfall!

Die in der DDR studierte Krankenpflegerin Doris Kaiser (Name geändert) arbeitet seit 1988 in ihrem Beruf. Sie heiratet ihren Mann im Jahr 1991. Ihr Ehemann hat denselben Beruf erlernt, welcher von der Deutschen Rentenversicherung nicht anerkannt wird und daher nicht als Rentenzeit zählt. Das Paar bekommt zwei Kinder (1999 und 2002), ihr Mann studiert und arbeitet danach selbständig als Krankenpfleger, ebenfalls ohne Einzahlungen in die DRV. Dann kommt die Trennung und der einstige Ehemann bekommt im Jahr 2010 mit der neuen Partnerin ein drittes Kind. Im Jahr 2017 verstirbt Doris Ex-Mann. Doris Kinder waren zu diesem Zeitpunkt 17 und 15 Jahre alt, das dritte Kind erst sieben.

Keines der drei Kinder von Doris Ex-Mann bekam Halbwaisenrente, da beim Rentenkonto ihres verstorbenen Ex-Mannes die Mindesteinzahlungszeit nicht erreicht wurde (fünf Jahre oder 60 Monate). Doris hatte glücklicherweise – und wie fast immer rein zufällig! – von der Erziehungsrente erfahren und beantragte diese.

Die verzweifelte Mutter wendet sich an die Politik

CDU-Das Jugendamt stellte mit dem Erhalt der Sterbeurkunde die Arbeit ein.

Doris erkundigte sich im Jahr 2017 sowohl bei der SPD als auch bei der CDU in ihrem Bundesland zusammen mit der Mutter des dritten Kindes ihres Exmannes, wie es sein kann, dass Halbwaisen leer ausgehen. Während die SPD gar nicht reagierte, war freche Antwort der Politiker: Die Eltern, in diesem Fall der verstorbene Exmann, hätte die nicht genügend Beiträge eingezahlt. Die Kinder können ja später wenigstens Bafög beantragen… Aber es geht noch weiter….

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Eine Klage bleibt erfolglos

Doris reichte für ihre Kinder Klage ein, um die Halbwaisenrente auf gerichtlichem Wege zu erhalten. Die Klage wurde für alle drei Kinder abgewiesen.

Im Jahr 2022 packte Doris sich erneut ein Herz und frage abermals bei der CDU nach, denn in ihrem Empfinden herrscht hier eine große Ungleichbehandlung von Halbwaisen zu allen anderen Kindern. der angesprochene Politiker hörte sich die Argumente geduldig an und teilte ihr dann mit, dass man da nichts machen könne, weil die Gesetze eben so sind.

Vom Unterhaltsvorschuss, Rein rechtlich war keiner der Beteiligten dazu verpflichtet, Doris über die Möglichkeit des UVS zu berichten, der Politiker wünscht Doris alles Gute. Wenigsten war er freundlich sagt Doris. 

In der Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente findest Du Hilfe und Gleichgesinnte:

Eine Frage bleibt

Warum werden Halbwaisen sprachlich aus dem Unterhaltsvorschuss ausgeschlossen? 

Sprache schafft Realitäten sagt Autorin Alexandra Zykunov. Demnach ist es gewollt, dass Halbwaisen sprachlich nicht eingeschlossen werden. 

Es gilt das alte Bild: es gibt nur die Bürgergeldempfangende „arme“ Alleinerziehende, die für ihre Kinder auch UVS bekommt. Aber die Witwe, tja, die ist reich, und auch ihre Kinder haben ausgesorgt. Steckt dieses Bild dahinter, oder warum weigert das BMFSFJ sich über Jahre hinweg, Halbwaisen und verstorbene Elternteile in die Formulierung auf der offiziellen Webseite zum UVS aufzunehmen?  

Was ist mit Unterhaltsvorschuss?

Zu keinem Zeitpunkt – und von keinem Beteiligten – wurde Doris K. auf die Möglichkeit hingewiesen, für ihre Kinder Unterhaltsvorschuss beantragen kann. Auch die Mutter des dritten Kindes wurde darüber nie aufgeklärt!

Doris kommt Ende 2023 in die Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente

Ende 2023 kommt Doris in meine Facebook-Gruppe Gerechte HinterbliebenenRente – verwitwet leben. Just zu diesem Zeitpunkt poste ich, dass der Mindestunterhalt ab 01.01.2024 ansteigt und Betroffene nun USV beantragen könnten, für Halbwaisen, die bis Ende 2023 noch keinen Anspruch hatten. UVS gibt es aber eben nicht automatisch, sondern nur auf Antrag. Auch ich stellte sofort einen Antrag, denn mein jüngerer Sohn war in seiner Altersklasse mit dem erhöhten Mindestunterhalt nun schon vor seinem 12. Geburtstag anspruchsberechtigt.

Doris schrieb mich an. Sie sprach die Ungerechtigkeit an – und ich verstand nicht, wovon sie sprach. Doris erzählte mir ihre Geschichte und ich klärte sie über die Möglichkeit des UVS auf. Doris war entsetzt: inzwischen waren ihre Kinder beide über 18 Jahre alt und sind damit nicht mehr Unterhaltsvorschussberechtigt – und UVS gibt es nun eben nicht rückwirkend. 

Doris informiert die Mutter des dritten Kindes!

Das dritte Kind ihres Ex-Mannes war zu diesem Zeitpunkt mit 13 Jahren noch minderjährig. Doris informierte die Mutter des dritten Kindes, die draufhin sofort UVS beantragte – das Kind bekommt nun seit Januar 2024 Unterhaltsvorschuss. Gut sieben Jahre nach dem Tod des Vaters bekommt wenigstens eins von drei Kindern des Verstorbenen den gesetzlichen Mindestunterhalt! Viel zu spät und rückwirkend gibt es nichts. Das ist ein Skandal.

Wieso wird es dem Zufall überlassen, ob Eltern, deren Partner oder Ex-Partner stirbt von der Möglichkeit des UVS erfahren?

Wieso wird die Deutsche Rentenversicherung (DRV) nicht dazu verpflichtet, im Falle von niedrigen Halbwaisenrenten auf den UVS hinzuweisen?

Wieso wird das Jugendamd nicht darüber informiert und dazu verpflichtet, betroffene Eltern zu kontaktieren? Es geht doch schließlich um das Kindswohl!. Und zwar um das Kindswohl eines Kindes, das gerade einen Elternteil verloren hat!

Doris Kinder gehen in dieser Geschichte leer aus, und zwar nur, weil niemand sie informiert hat!

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