Wachstumsinitiative: Welche Auswirkungen hat der Gesetzesentwurf auf die Hinterbliebenenrenten?

Die Hinzuverdienstgrenze muss abgeschafft werden: sie ist ein erwerbsfeindliches Bürokratiemonster! So viel hat unser Bundesarbeitsminister Hubertus Heil inzwischen verstanden: der niedrige Freibetrag hindert Betroffene daran, mehr arbeiten zu gehen. Nun schafft das Bundesministerium für Arbeit und Soziales per Wachstumsinitiative neue Möglichkeiten mit einem zusätzlichen Sockelbetrag von 538 Euro anrechnungsfreien Erwerbseinkommen – damit eine Vollzeittätigkeit zum Mindestlohn immer anrechnungsfrei bleibt. 

Das sind ungeahnte Fortschritte, aber reichen die Vorschläge? Auf keinen Fall! Der Hammer ist außerdem die Verschiebung der Einführung um zwei Jahre – viele Witwen und Witwer sind entsetzt! 

Der Gesetzesentwurf der Wachstumsinitiative vom 04.09.2024

„Einführung eines „Sockelbetrags“ bei der Einkommensanrechnung bei Renten wegen Todes

Wir erhöhen die Anreize für Hinterbliebene, eine Erwerbstätigkeit auszuweiten oder aufzunehmen, indem Erwerbseinkommen und kurzfristiges Erwerbsersatzeinkommen bis zu einem Betrag von aktuell 538 EUR im Monat („Sockelbetrag“) von der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ausgenommen werden. Im Ergebnis bleibt damit eine Vollzeittätigkeit zum gesetzlichen Mindestlohn bei Bezug einer Hinterbliebenenrente regelmäßig anrechnungsfrei.“

Anrechnungsfrei bis zum gesetzlichen Mindestlohn (12,41 € / 40 Std.)

Wie die Anrechnung und Kürzung von Einkommen funktioniert, muss ich hier nicht mehr erklären, bitte lies dazu den Beitrag Hinzuverdienstgrenze für das Rentenjahr 2024 / 25.

Johannes Steffen erklärt den Sockelbetrag in seiner Übersicht zur Wachstumsinitiative wie folgt: „Ab Juli 2027 wird zur Bestimmung des »Netto« vor Abzug des 40-prozentigen Pauschalbetrags bei Erwerbs- oder kurzfristigen Erwerbsersatzeinkommen zunächst ein Sockelbetrag (bis zur Höhe der jeweils maßgeblichen Geringfügigkeitsgrenze gem. § 8 Abs. 1a SGB IV – 2024: 538 €) von der Anrechnung ausgenommen. Damit wird gewährleistet, dass eine geringfügig entlohnte Beschäftigung oder Tätigkeit, die neben der Hinterbliebenenrente ausgeübt wird, stets anrechnungsfrei bleibt, sofern es sich um das einzige Erwerbseinkommen handelt.“

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Der Hammer: Die Wachstumsinitiative gilt für Hinterbliebene auf Bitten der DRV erst ab 01. Juli 2027

Im Gesetzesentwurf steht: „Die Hinweise der Deutschen Rentenversicherung Bund wurden zum Anlass genommen, die Einführung des „Sockelbetrages“ vom 1. Juli 2025 auf den 1. Juli 2027 und das Inkrafttreten der Rentenaufschubprämie vom 1. Januar 2027 auf den 1. Januar 2028 zu verschieben.“

Eine Verschiebung des Vorhabens um zwei Jahre (!!!) zeigt, dass diese „Erleichterung“ für Hinterbliebene ein weiteres – zusätzliches! – Bürokratiemonster für die Deutsche Rentenversicherung ist!

Eine Verschiebung um zwei Jahre (!) ist ein echter Schlag ins Gesicht für Hinterbliebene, die auf eine schnelle Lösung gehofft hatten! 

Nur Erwerbseinkommen und nur bis zum Mindestlohn! Das ist zu wenig!

Betroffen von der Einkommensanrechnung sind 5,2 Millionen Hinterbliebene, etwa 1,2 Millionen Betroffene sind noch im erwerbsfähigen Alter, über 85 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Warum also nur bis zum Mindestlohn? Glaubt Herr Heil, dass alle Witwen als Kellnerinnen und Friseurinnen zum Mindestlohn arbeiten? Warum wird nicht der rententechnische Durchschnittslohn in der Wachstumsinitiative anrechnungsfrei gestellt?

Das jährliche Durchschnittseinkommen für das Jahr 2024 beträgt 45.358 Euro (vorläufiger Wert). Verdient eine Versicherte oder ein Versicherter genau das rententechnische Durchschnittseinkommen im entsprechendem Jahr, hat er oder sie damit genau einen Rentenpunkt verdient (entspricht derzeit 39,32 Euro Rente)

Warum dürfen Witwer und Witwen wie auch Empfänger von Erziehungsrenten nur den Mindestlohn anrechnungsfrei verdienen (und damit deutlich weniger als einen Rentenpunkt pro Jahr sammeln) und nicht das rententechnische Durchschnittseinkommen?

Der Gesetzgeber produziert mit dem Sockelbetrag nicht nur ein noch weiter aufgeblasenes Bürokratiemonster „Einkommensanrechnung“, sondern zusätzlich noch seine eigenen zukünftigen Sozialfälle. Die Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten ist der systembedingte Weg in die Altersarmut für junge Hinterbliebene – auch mit Wachstumsinitiative!

Was kostet die Einkommensanrechnung die Deutsche Rentenversicherung jährlich? 

Dass die Einkommensanrechnung ein Bürokratiemonster ist, ist wohl inzwischen unbestritten. Was sie die Deutsche Rentenversicherung jährlich kostet, weiß kein Mensch – dazu gibt es keine Untersuchungen und keine Statistiken. Was allerdings die Anhebung des Freibetrags die Deutsche Rentenversicherung angeblich kostet, weiß angeblich Max Straubinger, CSU, MdB:

Er behauptet, dass „Frauen mittlerweile auf insgesamt über 5 Milliarden Euro Renten verzichten, weil sie, wenn sie in Arbeit blieben, einen höheren Lebensstandard haben.“ (Quelle: Plenarprotokoll 20/131)

Wie viele „Nullrentner“ gibt es wirklich?

Fakt ist, dass die meisten Nullrentner keine Frauen sind, sondern Männer (134.000 Frauen und 434.000 Männer, Stand 31.12.2023, Quelle: DRV) und die Nullrenten insgesamt in weniger als 10 % der Fällen vorkommen. Während Betroffene im erwerbsfähigen Alter gesamt 130.000-mal eine Nullrente beziehen und damit schon bei 11,3 Prozent des gesamtdeutschen Anteils liegen, wird der Unterschied geschlechtsspezifisch sehr viel deutlicher: Bei Männern gibt es in der Summe 218.000 Personen im erwerbsfähigen Alter. Davon beziehen rund 65.000 Personen eine Nullrente, also fast 30 Prozent der männlichen Bezieher im erwerbsfähigen Alter. Bei Frauen gibt es in der Summe rund 924.000 Personen im erwerbsfähigen Alter. Davon beziehen fast dieselbe Anzahl wie bei Männern, also rund 65.000 Betroffene, eine Nullrente. In Prozent ausgedrückt bekommen nur rund 7 Prozent der bezugsfähigen Frauen im erwerbsfähigen Alter eine Nullrente. 

Erhöhung von 0,4 % des Rentenbeitrags in der Wachstumsinitiative kein Thema

Laut Straubinger koste die Anhebung des Freibetrags wie im AfD-Antrag 20/6582 vom 27.04.2023 gefordert, den Rentenzahler eine Erhöhung von 0,4 Prozent des Rentenbeitrags. Straubinger und keiner seiner Partei- oder anderen Bundestagskollegen oder -kolleginnen hat allerdings die Mehreinnahmen für Steuern, Rentenversicherung oder Krankenversicherung gegengerechnet, wenn 1,2 Millionen Witwen und Witwer im erwerbsfähigen Alter plötzlich 10, 15 oder gar 20 Stunden mehr arbeiten würden.

In dem gesamten Gesetzesentwurf der Wachstumsinitiative ist die von Herrn Straubinger in Spiel gebrachte angeblich nötige Erhöhung der Rentenbeiträge allerdings gar kein Thema! Ist diese Erhöhung nun doch gar nicht nötig?

Was die Deutsche Rentenversicherung jährlich einsparen könnte?

Das weißt keiner!! 

Die DRV könnte erhebliche Kosten einsparen: Porto für 5,2 Millionen jährliche Einkommensabfragen, Arbeitsplätze, Computer, Strom, Miete. Keiner weiß, was das jährlich kostet, auch die DRV nicht! 

Bei der DRV herrscht sicher auch Fachkräftemangel, warum sonst dauern Anträge für Witwenrenten oder Witwerrenten acht oder zehn Monate? Die Mitarbeiter, die heute die Einkommensanrechnung für 5,2 Millionen Empfänger von Hinterbliebenenrenten jährlich durchführen, könnten an anderen Stellen eingesetzt werden und so zum Beipsiel dabei helfen, dass neue Witwen oder Witwer schneller an die Witwenrente oder Witwerrente kommen. 

Eine Beispielrechnung – nach Einführung der Wachstumsinitiative

„Beispiel (2. Hj. 2024): Aus einer Beschäftigung zu 40 Std./Woche zum gesetzlichen Mindestlohn (12,41 €) ergibt sich ein Monats-Brutto von rd. 2.150 EUR. Abzüglich des Sockelbetrags verbleiben 1.612 EUR – nach pauschaler Minderung um 40 Prozent sind es rd. 967 EUR. Da der Freibetrag von 1.038,05 EUR nicht überschritten wird, bleibt das Erwerbseinkommen anrechnungsfrei und die Hinterbliebenenrente Hinterbliebenenrente wird ungemindert geleistet (nach geltendem Recht ergäbe sich eine Kürzung der Hinterbliebenenrente um rd. 100 EUR). – Die Neuregelung soll Anreize setzen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. eine bestehende Erwerbstätigkeit auszuweiten.“ (Aus: Johannes Steffen schreibt dazu in seiner Übersicht zur Wachstumsinitiative)

Warum schafft die Wachstumsinitiative nicht einfach die Hinzuverdienstgrenze ab?

Völlig unklar ist, warum das Bürokratiemonster Einkommensanrechnung weiter aufgebläht statt abgebaut wird. Warum schafft Herr Heil nicht einen echten Arbeitsanreiz für Millionen von Hinterbliebenen im erwerbsfähigen Alter, in dem er die Hinzuverdienstgrenze gänzlich abschafft – oder mindestens zeitweise aussetzt? Letztere Möglichkeit wäre volkswirtschaftlich sicher sinnvoll, um das bestehende, verfassungskonforme System der Einkommensanrechnung aufrecht zu erhalten, aber gleichzeitig den bereits bestehenden und zukünftig drohenden Fachkräftemangel der in Rente gehenden Babyboomer mindestens ein Stück weit auszugleichen.

Der VdK begrüßt den Vorschlag der Wachstumsinitiative – kritiklos!

Bei aller oben genannten Kritik ist klar: es kommen Verbesserungen, auch wenn sie noch lange dauern und das Problem des Bürokratiewahnsinns „Einkommensanrechnung“ nicht lösen. Der VdK begrüßt die Wachstumsinitiative in Bezug auf die Hinterbliebenenrenten allerdings kritiklos, was absolut nicht okay ist. Kritik gibt es jede Menge, dieser Vorschlag von Herrn Heil kann nicht das Ende sein!

Edit vom 09.09.2024: Michael Popp vom Referat Alterssicherung und gesetzliche Unfallversicherung des Sozialverband VdK Deutschland e.V. sagt: „Die zeitliche Verschiebung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Deshalb hat der VdK den Sockelbetrag begrüßt.“

„Der VdK begrüßt die günstigere Einkommensanrechnung für Beziehende von Witwen- und Witwerrenten. Gerade Witwenrenten sind immer noch ein wirksames Mittel gegen Armut bei Frauen. Viele Frauen konnten und können keine ausreichenden eigenen Rentenansprüche erwerben, da sie in ihrem Arbeitsleben häufig unfreiwillig in Teilzeit arbeiten und sich unentgeltlich um Kinder und pflegebedürftige Angehörige kümmern. Besonders von hohen Einkommensverlusten bedroht sind junge Hinterbliebene mit Kindern, wenn die Ehepartner jung sterben. Die Rentenanwartschaft ist noch sehr niedrig und die sich daraus ergebene Witwen- oder Witwerrente liegt häufig unterhalb des Existenzminimums. Der VdK begrüßt, dass durch die Umsetzung als Sockelbetrag Witwen mit einem niedrigen Erwerbseinkommen überproportional von der neuen Anrechnungsregel profitieren und dass der Sockelbetrag dynamisch an den gesetzlichen Mindestlohn gekoppelt ist.“

Berechnungshilfe HinterbliebenenRente

Vorläufig bleibt also alles beim Alten. Das Einkommen des Jahres 2024, welches ab 01.07.2025 zur Anrechnung herangezogen wird, wird nach dem alten Muster angerechnet. Auch Dein Einkommen vom Steuerjahr 2025, welches ab 01.07.2026 zur Anrechnung herangezogen wird, wird nach dem alten Muster angerechnet. Erst Dein Einkommen im Steuerjahr 2026 wird dann – dank der Wachstumsinitiative – einen höheren Freibetrag für Erwerbseinkommen haben (für alle anderen Einkünfte wie zum Beispiel Kapitalerträge oder Einkommen aus Vermietung und Verpachtung gelten nach wie vor die alten Regelungen).

Hier nochmals der Link zur Excel-Liste „Berechnungshilfe Hinterbliebenenrente“.  Ganz ehrlich? Ich frage mich immer, wieso die drv nicht eine solche Excel-Liste herausgeben kann.

 

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